Fluggastrechteverordnung – Annullierung

Wir setzen unsere Serie zu Ansprüchen aus der Fluggastrechte-Verordnung EG Nr. 261/2004 fort. Nachdem wir letztes Mal Art. 4 behandelt haben, möchten wir diesmal auf Art. 5 eingehen, der die Ansprüche im Fall einer Annullierung regelt.

Der Begriff der Annullierung -Anspruchsvoraussetzungen

Eine Annullierung liegt nach Art. 2 lit. l vor, wenn ein geplanter Flug nicht durchgeführt wird, für den zumindest ein Platz reserviert war. Anders als bei der Nichtbeförderung, wo nur einer oder ein paar Fluggäste nicht mitfliegen können, findet bei einer Annullierung der gesamte Flug nicht statt.

Rechtsfolge einer Annullierung

Wird ein Flug annulliert, haben die Fluggäste die Ansprüche aus Art. 7, 8 und 9 — um genau zu sein also auf Unterstützungs- und Ausgleichsleistungen. Den Inhalt des Anspruchs aus Art. 8 haben wir ja bereits im vorangegangenen Beitrag zum Thema Nichtbeförderung erläutert. Deshalb werden wir im Folgenden auf die Besonderheiten des Anspruchs auf Ausgleichszahlung nach Art. 7 eingehen.

Anspruch auf Ausgleichszahlung, Art. 7 Abs. 1

Art. 7 sieht einen reinen Zahlungsanspruch vor. Diesem Anspruch steht (anders als dem Anspruch aus Art. 8) nicht direkt ein ursprünglich vertraglicher Anspruch gegenüber. Vielmehr soll Art. 7 für den Ärger entschädigen, den der Fluggast unverhofft erleidet.

Aus Art. 7 ergibt sich folgende Erstattungsregelung, die am leichtesten anhand einer Tabelle zu verstehen ist:

Ersatzlose AnnullierungArt. 7 Fluggastrechte-
verordnung
alle Flüge bis 1.500 km250 EuroAbs. 1 lit. a)
Flüge innerhalb der EU über 1.500 km400 EuroAbs. 1 lit. b)
Flüge EU-Drittstaat zwischen 1.500 und 3.500 km400 EuroAbs. 1 lit. b)
Flüge EU-Drittstaat über 3.500 km600 EuroAbs. 1 lit. c)

Berechnung der Entfernung

Die für Art. 7 Fluggastrechtverordnung maßgebliche Entfernung berechnet sich nach der Großkreismethode (vgl. Art. 7 Abs. 4 Fluggastrechteverordnung). Die Entfernung zwischen Abflughafen und Zielflughafen berechnet sich dabei anhand der kürzesten Strecke entlang der Erdoberfläche. Es wird also nicht einfach die Luftlinie als Berechnungsgrundlage der Ausgleichszahlung herangezogen.

Kürzung des Ausgleichsanspruchs, Art. 7 Abs. 2

Wird nach Art. 8 Abs. 1 lit. b) eine anderweitige Beförderung ermöglicht und in Anspruch genommen, ist der Erstattungsanspruch unter Umständen allerdings zu kürzen. Die Anspruchshöhe ist dann nämlich abhängig davon, wie lange sich die Ankunftszeit des Alternativflugs gegenüber der ursprünglichen planmäßigen Ankunftszeit verzögert. Art. 7 Abs. 2 sieht vor, dass Fluggesellschaften die Ausgleichszahlungen nach Abs. 1 (siehe Tabelle) je nach Reiseentfernung und Verspätung um 50 % kürzen können. Auch hier lässt sich die Regelung am besten durch eine Tabelle aufschlüsseln:

Annullierung und anderweitige Beförderungsleistungen mit Ankunftszeitmax. 2 Stunden später2 bis 3 Stunden später3 bis 4 Stunden spätermehr als 4 Stunden später
alle Flüge bis 1.500 km125 Euro250 Euro250 Euro250 Euro
Flüge innerhalb der EU über 1.500 km200 Euro200 Euro400 Euro400 Euro
Flüge EU-Drittstatt zwischen 1.500 und 3.500 km200 Euro200 Euro400 Euro400 Euro
Flüge EU-Drittstaat über 3.500 km300 Euro300 Euro300 Euro600 Euro

Der maßgebliche Zeitpunkt der Ankunft

Von besonderer Bedeutung ist deshalb die Frage, was als maßgeblicher Zeitpunkt der Ankunft gilt, da das im Zweifelsfall darüber entscheidet, ob die 50 %-Regelung aus Art. 7 Abs. 2 einschlägig ist.
Maßgeblich für die Bestimmung des Zeitpunkts der Ankunft könnten z.B. sein:

  • Der Zeitpunkt des Aufsetzens auf der Rollbahn (touch down)
  • Das Setzen der Parkbremse nach Erreichen der Parkposition
  • Die Erlaubnis zum Verlassen des Flugzeuges

Teilweise können der touch down und die Erlaubnis zum Verlassen des Flugzeugs bis zu 30 Minuten auseinanderliegen. Insofern ist eine exakte Bestimmung der Ankunftszeit erforderlich.

Die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt, wurde in der Rechtssache Germanwings/Henning auch schon dem EuGH vorgelegt. Dieser hat entschieden, dass es darauf ankommt, wann die Beschränkungen der besonderen Situation im Flugzeug aufgehoben sind: Während des Fluges haben sich die Fluggäste nämlich nach Weisungen und unter der Kontrolle des Luftfahrtunternehmens in einem geschlossenen Raum aufzuhalten, in dem ihre Möglichkeiten, mit der Außenwelt zu kommunizieren, aus technischen und aus Sicherheitsgründen erheblich beschränkt sind. Unter solchen Umständen können sich die Fluggäste nicht weiter um ihre persönlichen, familiären, sozialen oder beruflichen Angelegenheiten kümmern. Erst wenn der Flug beendet ist, können sie sich wieder in gewohnter Weise betätigen und ihre Zeit für die Ziele verwenden, die sie dazu veranlasst haben, sich zur vereinbarten Zeit an den Zielort ihrer Wahl zu begeben.

An dieser Situation ändert sich grundsätzlich noch nichts Wesentliches, wenn die Räder ihres Flugzeugs die Landebahn des Zielflughafens berühren oder das Flugzeug seine Parkposition erreicht und die Parkbremse gesetzt bzw. die Bremsklötze angebracht werden, da die Fluggäste weiterhin in dem geschlossenen Raum, in dem sie sich befinden, verschiedenen Einschränkungen unterliegen.

Erst wenn den Fluggästen das Verlassen des Flugzeugs gestattet ist und dafür das Öffnen der Flugzeugtüren angeordnet wird, können sie sich grundsätzlich wieder in gewohnter Weise betätigen, ohne den genannten Einschränkungen zu unterliegen.
Demzufolge kann nur die tatsächlich vorhandene Möglichkeit, das Flugzeug zu verlassen, als Ankunftszeit zur Beurteilung der Verspätung dienen.

Bei dem für die Ankunftsverspätung maßgeblichen Zeitpunkt der Türöffnung handelt es sich zwar um eine anspruchsbegründende Tatsache, die grundsätzlich der Fluggast darzulegen und zu beweisen hat. Es reicht jedoch, wenn er die Zeit angibt, zu der er das Flugzeug verlassen konnte. Danach ist es Sache des Luftfahrtunternehmens darzulegen, wann die erste Tür zum Ausstieg der Fluggäste geöffnet wurde und damit die tatsächliche Möglichkeit des Ausstiegs bestand.

Besonderheit einer Annullierung – Die Erste

Drei Ausnahmen von dieser Regelung sehen Art. 5 Abs. 1 lit. c) Nr. i – iii vor. Maßgeblich ist, dass die Fluggesellschaft die Fluggäste vorher über die Annullierung informiert. Je nachdem wie viele Tage vor planmäßiger Abflugzeit sie die Unterrichtung vornimmt, desto strenger sind die zusätzlichen Voraussetzungen:

Art. 5 Abs. 1Benachrichtigung des FluggastesArt. 5 Abs. 1Abflug alternative BeförderungAnkunft alternative Beförderung
lit. i)mehr als 13 Tage vorher
lit. ii)7 bis 13 Tage vorhermax. 2 Stunden frühermax. 4 Stunden später
lit. iiI)0 bis 7 Tage vorhermax. 1 Stunde frühermax. 2 Stunden später

Beispiel: Die Fluggesellschaft informiert den Passagier 8 Tage vorher, dass der Abflug um eine Stunde vorverlegt wurde und das Flugzeug trotzdem um zwei Stunden später als geplant ankommt. In diesem Fall steht den Reisenden keine Entschädigung zu.

Besonderheit einer Annullierung – Die Zweite

Eine weitere Möglichkeit sich von der Ausgleichszahlungspflicht zu befreien sieht Art. 5 Abs. 3 vor. Dafür muss die Fluggesellschaft darlegen, dass die Annullierung auf „außergewöhnliche Umstände” zurückgeht. Diese außergewöhnlichen Umstände dürften außerdem auch durch zumutbare Maßnahmen nicht zu vermeiden gewesen sein.

Das heißt, um von der Pflicht zur Ausgleichszahlung entbunden zu sein, muss das Luftfahrtunternehmen kumulativ Folgendes nachweisen:

  • Das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände und den Zusammenhang mit der Verspätung oder Annullierung und
  • dass sich die außergewöhnlichen Umstände auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Außergewöhnliche Umstände finden auch Erwähnung in den Erwägungsgründen der EU-Fluggastrechteverordnung. In Erwägungsgrund (14) heißt es bezogen auf das Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen:

„(…) Solche Umstände können insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten.”

Hieraus wird man nur bedingt schlauer. Deshalb hat auch der EuGH sich bereits mehrfach zu dem Thema äußern müssen und im Ergebnis entschieden, dass es sich um Umstände handeln muss, die nicht in die beherrschbare betriebliche Sphäre des Luftfahrtunternehmens fallen.

Entsprechend der obigen zweigliedrigen Voraussetzungen bedeutet das, dass ein Umstand zunächst „außergewöhnlich” sein muss. Nur wenn das der Fall ist, kommt es auf die Frage seiner Beherrschbarkeit an.

  1. Außergewöhnlich: Ein Vorkommnis ist nur dann außergewöhnlich, wenn es „abseits des Gewöhnlichen” liegt, so der EuGH. Der BGH konkretisierte, dass es sich von denjenigen Ereignissen unterscheiden muss, mit denen typischerweise bei der Durchführung eines einzelnen Flugs gerechnet werden muss, also aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragt.
  2. Nicht beherrschbar: Die Frage der Beherrschbarkeit hängt nun vom Verantwortungsbereich ab, in den das Ereignis fällt.

Die Judikatur zu diesem Thema ist ausufernd. Wir wollen nur kurz auf zwei Situationen eingehen, die vielen Fluggästen bekannt sind: Technische Defekte der eigenen Flotte sind regelmäßig nicht ausreichend. Auch Wettererscheinung sind nicht an sich ein außergewöhnlicher nicht beherrschbarer Umstand, sondern können höchstens zu einem solchen führen. Die Fluggesellschaft muss also vortragen, dass die Wetterbedingungen geeignet waren, den Luftverkehr oder die Tätigkeit eines Luftverkehrsunternehmens ganz oder teilweise zum Erliegen zu bringen.

Fluggastrechteverordnung: Anspruch auf Betreuungsleistung

Weiterhin besteht ein Anspruch auf Betreuungsleistungen gemäß Artikel 9. Der Umfang des Anspruchs ist dabei abhängig davon, ob und wann eine anderweitige Beförderung stattfindet. Verzichtet der Fluggast im Rahmen seines Wahlrechts auf eine anderweitige Beförderung, sind ihm von der Fluggesellschaft unentgeltlich Mahlzeiten und Erfrischungen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit (Art. 9 Abs. 1 lit. a) und das Führen von zwei Telefongesprächen oder Versenden von zwei E-Mails (Art. 9 Abs. 2) anzubieten.

Entscheidet er sich aber für eine anderweitige Beförderung und liegt die nach vernünftigem Ermessen zu erwartende Abflugzeit des neuen Fluges erst am Tag nach der planmäßigen Abflugzeit des annullierten Fluges, muss die Fluggesellschaft ihm zusätzlich

  • eine Hotelunterbringung, und
  • die Beförderung zwischen dem Flughafen und dem Ort der Unterbringung (Hotel oder Sonstiges)

anbieten.

Fazit

Bei einer Annullierung hat der Passagier mithin umfassende Ansprüche. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder umgangssprachlich als Annullierung bezeichneter Vorgang auch eine Annullierung im Sinne der Verordnung ist, aus der Ansprüche erwachsen. Dazu kommt, dass es bei der Durchsetzung von Ansprüchen nach der EU-Fluggastrechteverordnung teilweise zu erheblichen Problemen kommt. Zu nennen sind hier besonders die Schwierigkeiten bei der Klagezustellung oder der Gerichtszuständigkeit.

Auch der Streitwert ist bei einem einzelnen Fluggast letztendlich noch nicht so hoch, dass man sich ohne weiteres durch die verschiedenen Instanzen klagen kann. Das kann letztendlich auch deshalb entscheidend sein, weil sich einige Luftfahrtunternehmen trotz klarer Rechtslage, weigern diese Ansprüche anzuerkennen und so die Kontrolle durch eine weitere Instanz in einigen Fällen wünschenswert wäre.